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MIDSOMMAR | Wo viel Licht ist, ist starker Schatten

Nach dem Überraschungshit „Hereditary“ legt Ausnahme-Regisseur Ari Aster den nächsten kultverdächtigen Horrorfilm vor, der sich zu einem albtraumhaften filmischen Märchen entfaltet. MIDSOMMAR spielt geschickt mit der Brutalität nordischer Mythen und entfesselt in atemraubenden Bildern die Kraft obskurer Riten in Nächten, die keine Dunkelheit kennen.

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© A24/Weltkino Filmverleih

Inhalt

Obwohl ihre Beziehung kriselt, schließt sich Dani (Florence Pugh) ihrem Freund Christian (Jack Reynor) auf einen Sommertrip in einen kleinen Ort in Schweden an. Gemeinsam mit Christians Clique sind sie zu einem einmaligen Mittsommerfestival eingeladen. Doch der anfänglich idyllische Eindruck der abgelegenen Gemeinschaft trügt, die freundlichen Dorfbewohner verhalten sich nach und nach merkwürdiger: Sie bereiten sich auf ein besonderes Mittsommer-Ritual vor, das nur alle 90 Jahre zelebriert wird. Was als puritanisches Fest der Liebe und Glückseligkeit beginnt, nimmt eine unheimliche Wendung, die das sonnengeflutete Paradies bis in die Eingeweide erschüttert.

Kritik

Noch immer schüttelt es mich, wenn ich an Hereditary – Das Vermächtnis des Grauens denke. Ari Aster ist in meinen Augen ein sensationeller Meilenstein gelungen, der nicht nur das Horrorgenre wiederbelebt, sondern allen Filmschaffenden auch als Inspiration dienen soll. Den gewohnten Weg zu verlassen, die Ketten des Mainstream-Kinos zu sprengen, ist seine Aufgabe und ihm auch gelungen. Der Verlust eines Familienmitglieds so schmerzerfüllt, verstörend und mit krasser Symbolkraft zu inszenieren, ist beispiellos und zurecht von Kritikern und Zuschauer gefeiert worden. Doch eben dieses Werk macht nun Lust auf mehr. Die selbstgesteckte Latte ist hoch. Gebannt verfolgte man das Geschehen, wann Ari Aster seinen filmischen Albtraum fortführen und erneut für Gänsehautmomente sorgen würde. Mit MIDSOMMAR macht er erneut einen Schritt nach vorne. An Absurdität und Kontroverse kaum zu übertreffen.

Midsommar suggeriert eine sonnendurchflutete Welt, in der alles stehengeblieben zu sein scheint. Fernab der Moderne, des technologischen Fortschritt, begegnen wir einen scheinbar ausgestorbenen Bild einer heilen und friedlichen Lebenswelt. Teilweise überspitzt Aster diese Darstellung, überdreht die Szenen, sorgt für Unverständnis beim Zuschauer. Denn was so unberührt und friedlich wirkt, offenbart im Kern einen böswilligen Charakter. Man ist weit weg von dieser Welt, die wir eigentlich von skandinavischen Land gewohnt sind. Wundervolle Trachten, meterlange Tische an denen alle speisen und die typischen Holzhütten im Hintergrund – wie es uns eben auch vorgezeigt wird und nur die wenigstens wirklich erleben. Familienleben in der Einöde. Der ideale Ort sich zu entschleunigen. An einen Horrortrip denkt man hier nur bedingt, wenngleich diese Zusammentreffen schon was von Sekte haben. Aber daran denken die Reisenden im Film nicht. Sie kamen genau wegen der Schönheit hierher und müssen auf intensive Weise erfahren, dass das nur ein Trugbild ist.

Aster führt den Zuschauer damit in die Irre. Seine unvorhersehbare Handlung treibt den Spannungsmoment in Höhen, die selten ein Horrorfilm erreicht. Der Film ist speziell, fast schon gewöhnungsbedürftig. Aber auch innovativ. Weit über zwei Stunden wird man gequält, weiß nie, wo die Reise hingeht. Wir fühlen uns selbst an den Kinostuhl gefesselt und schreien unerhört um Hilfe. Ein Gefühl, das nur wenige Filmemacher bis dato gelang. Aster übertreibt, reizt es aus, jeder Moment wird ausgekostet und ausgequetscht. Die Schönheit lässt uns erblinden, wir sind führungslos und müssen uns ohne Halt durch eine Erzählung kämpfen, die mit allen Wassern gewaschen ist. Mich hätte es aber auch nicht verwundert, wenn dieser Film „keine Jugendfreigabe“ erhalten hätte – dennoch kommt er in einer Uncut-Version nun ins Kino. Ein Machwerk für Hartgesottene, die intelligentes und subtiles Gruselkino mögen. Ob Aster auf allen Ebenen an Hereditary anschließen kann oder sogar übertrumpft, muss bei dieser Tragweite jeder für sich selbst entscheiden. Aber so viel sei euch gesagt: So etwas habt ihr noch nie gesehen.

Fazit: Danach saß ich für Stunden in der Dusche und weinte bitterlich. Midsommar ist ein Virus, der dein Gehirn befällt. Dich an den Rand der Verzweiflung treibt und dir ins Ohr flüstert: „Spring!“ Es grenzt an ein Wunder, dass Ari Aster nicht schon selbst meschugge im Kopf ist. Es gehört viel Selbstbeherrschung und Disziplin, sowie viel Respekt zu diesem Handwerk, um sich dieser verstandraubenden Welt zu entziehen. Midsommar ist genau die richtige Einstimmung auf eine gruselige Herbstzeit.

FSK ab 16 (blau)Originaltitel:           Midsommar
Produktionsland/-jahr:   US/SE/HU 2019
Laufzeit:                147 min
Genre:                   Horror

Regie:                   Ari Aster
Drehbuch:                Ari Aster 
Kamera:                  Pawel Pogorzelski

Kinostart:               26. September 2019
Home Entertainment:      7. Februar 2020

Verleih:                 Weltkino Filmverleih

(Quelle: Weltkino Filmverleih)

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